Allein unter Slawen
Sobald ein Flaneur sich in die hinterste Ecke des gegenwärtigen Mitteldeutschlands flüchtet, muss er feststellen, dass er sprachlich und kulturell durchaus an Grenzen kommt. In diesem Fall hat ein zweisprachiges Bahnhofsschild auf dem Weg von Dresden nach Görlitz das Augenmerk erregt. Die Stadt Bautzen liegt auf halber Strecke zwischen Elbe und Neiße. Bekannt ist Bautzen nicht nur durch seinen gleichnamigen Senf, der im übrigen vorzüglichst mit herzhaften Speisen zusammengeht. Vielmehr kennt ein Geschichtskundiger den Namen der Stadt in Verbindung mit dem Stasi – nun… – Genesungswerk Bautzen. Etwas unerwartet schlängelt sich die Spree durch das Städtchen, welche sich Flugs durch den nach ihr benannten Wald an vielen Gurken vorbei in die Hauptstadt des Landes windet.
Unscheinbar, aber eigentlich unübersehbar, ist hier jedoch etwas ganz anderes. So flaniert man durch die Ryćerska Hasa und staunt durchaus über die nicht ganz zufällige Ähnlichkeit mit der tschechischen Sprache, die Laute, die in anderen Worten mit G geschrieben werden, mit einem H auflöst. So ist es auch im Tschechischen, dem das Obersorbische nahesteht. Das deutsche Wort „Grenze“ ist ein slawisches Lehnwort und schreibt sich auf Tschechisch „hránica“. Im Polnischen schreibt es sich übrigens auch mit G: granica. Ryćerska Hasa bedeutet zu Deutsch „Rittergasse“. Hasa ist ein Lehnwort aus dem Deutschen. Das Genus behält es bei, was in einer slawischen Sprachen zur Endung -a führt.
Dies ist aber nur ein abstrakter Einblick in die sorbische Kultur, vielmehr sind es die Bräuche und insgesamt die Kultur, die auch über Musik, Kunst und Theater verfügt. Doch von Vorne: Der geneigte Flaneur entsteigt zunächst dem Zug und schreitet konstant bergauf in Richtung Innenstadt. Der Grüne Ring, wo einstmals die Stadtmauer stand, umringt die Stadt und glänzt mit zahlreichen wunderschön restaurierten Jugendstilhäusern.
Eine aufgeregt quatschende und scherzende Gruppe Pennäler geht eilends vorbei. Ihr Gelächter ist unverkennbar fröhlich, jedoch ist die Sprache fremd. Auf vorsichtige Nachfrage, ob dies Sorbisch sei, bejahen sie es. Sie sprechen fließend Deutsch, jedoch ist oft heute noch Sorbisch ihre Umgangs- und Familiensprache. Es wird also stets unterschieden zwischen Nähe und Distanz. Auch kulturell.
Diese unaufdringliche Präsenz der Sorben in ihrer Stadt, die ansonsten wenig Ausländer hat und vermutlich wie viele Orte in Sachsen nicht für ihre Willkommenskultur bekannt sein dürfte, wecken das Interesse. In der Ortenburg, der Festung von Bautzen, gibt es das Sorbische Museum. Dort erhält der sorbophile Flaneur eine umfassende Aufklärung über Kultur, Sprache und Bräuche des serbischen Volkes. Sie sind quasi die Ureinwohner der Lausitz und bewohnen dieses Gebiet seit über 1.000 Jahren.
Sie verstehen sich nicht als Deutsche, jedoch bilden sie keine eigene Nation. Zumindest im Alltag sind Sorben unauffällig. Weder ihre Kleidung, noch ihre Sprache fällt dann auf. Im Umgang mit anderen sind sie komplett assimiliert. Jedoch untereinander pflegen sie Bräuche und Traditionen wie die Vogelhochzeit, das Zampern oder das Tragen ihrer schönen, kunstvoll bestickten Trachten. Zudem sind sie aus Tradition sehr kirchlich, wobei die Obersorben durchweg evangelisch sind. Bei den Niedersorben ist dies der Großteil, jedoch gibt es auch Gebiete, in denen Sorben mit katholischem Bekenntnis leben. Besonders schön und auch bekannt sind die sorbischen Ostereier, die mittels einer Kratzmethode oder mit kleinsten Farbpunkten in filigraner Handarbeit dekoriert werden. Selbst Sorben, die die Sprache ihrer Ahnen nicht mehr kennen, pflegen durchaus noch ihre Traditionen.
Jedoch findet das Leben der Sorben weniger in Bautzen, sondern viel mehr in kleinen Dörfern im Umland statt. Zusätzlich zu den Obersorben gibt es noch die Niedersorben, die sich auch Wenden nennen – und deren Vorfahren das Wendland in Ostniedersachsen besiedelt haben. Diese sind mehr im Bereich um Cottbus angesiedelt und sprechen eine Form des Sorbischen, die dem Polnischen nahesteht.
Die Stadt Bautzen thront malerisch über der Spree und muss über zahlreiche Stufen erklommen werden. In ihrer Mitte befindet sich eine Konversionskirche, in der evangelische und katholische Gottesdienste wechselweise gefeiert werden können. Das Kopfsteinpflaster in der Stadt verdeutlicht, wie alt die Häuser sind. Ähnlich wie Görlitz sind in der Stadt keine Kriegsschäden zu beklagen. Die Straßen sind gesäumt von schön dekorierten Cafés und Restaurants, unter anderem eines für die sorbische Küche. Da die Stadt bei Touristen nicht so bekannt ist, ist es hier auch nicht gedrängt und laut. Ebenso dürften auch die Preise im Verhältnis etwa zu Dresden erfrischend niedrig sein.