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Was ist das denn für eine Sauerei? … platonisch …

Was ist das denn für eine Sauerei? … platonisch …

In unseren Zeiten halten Beziehung fast schon traditionell nicht lange. In unserem Falle geht es weniger um eine Ehe oder sonstwie amourös veranlagte Liaison, wenngleich hier von einer tiefgreifenden Freundschaft gesprochen werden darf. Doch dazu später mehr.

Klingt das langweilig? Ist es auch. Fast. Entstanden ist diese langjährige Beziehung dem Vernehmen nach durch ein gebrochenes Bein. Doch von vorne.

Die Rede ist hier von Mario Girotti und Carlo Pedersoli, zwei Italiener, davon der erste mit teils sächsischen Wurzeln – unübersehbar durch die weltberühmten stahlblauen Augen und den blonden Haarschopf, zumindest in jüngeren Jahren. Seit 2022 besitzt er nun auch die deutsche Staatsbürgerschaft.

Pedersoli und Girotti trafen als Schauspieler eher zufällig aufeinander und entdeckten, dass sie gut vor der Kamera harmonierten. Dies setzte sich später auch im Privatleben beider fort. Ihre filmische Errungenschaft ist es, das Genre des Italowestern mit seiner blutrünstigen Attitüde in ein wohltuend humorvolles Genre zu wandeln, das bis heute Maßstäbe setzt. So sehr, daß frühe Produktionen nachvertont wurden, um den später verfeinerten Stil posthum nachzubessern.

Schauspielerische Leistungen sind eher beiläufig zu erkennen, denn beide sind fachliche Laien. Dies soll jedoch nicht heißen, daß beide nicht erheblich glänzen konnten mit ihrem Können. Revolverduelle mit Todesfolge formten sie um in Schlägereien mit eingespielten Toneffekten, schnöde Dialoge zwischen Bleispritze und Begräbnis wurden besonders im Deutschen beachtlich aufgewertet und wurden ein Markenzeichen der Filme von Girotti und Pedersoli.

Gefährliche Sprünge und andere riskante Manöver spielten die beiden stets selbst. Kein Wunder, denn sie sind Athleten und gut trainiert. Auch wenn Pedersoli vor der Kamera als stets verfressen imponieren konnte – er ist hochgewachsen und durchaus etwas beleibt –, so muß ihm eine Karriere als Olympiaschwimmer konstatiert werden. Er war der erste Italiener, der die 100 Meter in weniger als eine Minute zurücklegte.

Girotti, von schmalerer Statur, lässt auch augenscheinlich keinen Zweifel an seiner sportlichen Eignung. Er galt und gilt als durchtrainiert und auch in seiner Lebensführung als gesundheitsbewusst.

Beide reiten Pferde, fliegen Flugzeuge und auch schwerere Landfahrzeuge. Sie prügeln sich und sind raubeinig. So weit, so gut. Was gerne etwas verblasst ob des Sprüche- und Fäustefeuerwerks, sind die feinsinnigen persönlichen Einflüsse, die sowohl Pedersoli als auch Girotti durchscheinen lassen.

Sei es, daß Girotti gerne Pistazieneis ißt und sich darum herzhaft bei Pedersoli beschwert, daß dieser, einen Eisverkäufer spielend, keines im Vorrat hat. Oder der flapsige Kommentar von Pedersoli, nachdem er sich taub stellte, er sei doch nicht blind. Er war eigentlich stark kurzsichtig, siehe unten.

Beide zeigen ein ethisches Bewusstsein, eigentlich muß man dies wohl als Ausdruck ihres Glaubens auffassen, denn stets helfen sie schwachen und wehrlosen, oft gläubigen Menschen, die aufgrund ihrer Religion friedfertig sind. Freilich taugt für jene auch die Zuschreibung des schrägen Vogels. Dies soll aber nicht über die tiefe Frömmigkeit beider Schauspieler hinwegtäuschen, die sie vielen ihrer Filme deutlich erkennen lassen. Sie begehen niemals Blasphemie, auch wenn sie mit Waffen hantieren und sich als Missionare in Schlägereien verwickeln.

Daß in den Filmen niemals jemand sterben muß, mag auch daran liegen, daß Girotti als kleiner Junge die Bombardierung von Dresden 1945, wo sein Vater als Ersthelfer involviert war, miterleben mußte. Derart von Gräueltaten traumatisiert, floh die Familie mit dem kleinen Mario aus dem sächsischen Lommatzsch bei Dresden nach Italien. Auch hier muß davon ausgegangen werden, daß dies auf die Gestaltung der Drehbücher der Filme und möglicherweise auf die Abkehr vom klassischen Italowestern Einfluß gehabt haben dürfte.

Eine Harfe ist ein Gartenzaun, wo man reingrabscht. (Rainer Brandt/Terence Hill)

Beeindrucken kann auch Pedersolis musikalisches Können, wenn er mit seinem Saxophon im Film auftritt. Dann sind seine Stücke selbst komponiert – und natürlich selbst gespielt.

In Summe haben beide ihr schauspielerisches Handwerk nie gelernt, sie sind aber vielfältig begabt und spielen stets in irgendeiner Weise sich selbst. Oder zeigen vor der Kamera eine Facette von sich, die ohne den Bühnenpartner nicht hervorgekommen wäre. Dies gilt besonders für Mario Girotti, der in den Filmen den Draufgänger spielt, jedoch im privaten Leben als zurückhaltend und publikumsscheu gilt.

Aber auch Pedersoli war im privaten Leben friedfertig und weit weniger raubeinig als im Film.

Wer es noch nicht gemerkt hat, die Rede ist ist natürlich von Terence Hill und Bud Spencer, so ihre internationalen Künstlernamen.

Was übrigens wahrhaft meisterlich in Szene gesetzt wird, sind die Schlägereien. Vor allem jene mit hohem Personaleinsatz bei den Bösewichten. Hier wurden alle Abläufe genau choreographiert und durchgetaktet. Die persönliche Note hierin ist, daß Pedersoli schwer kurzsichtig war und eigentlich eine Brille trug. Diese fiel jedoch vor der Kamera aus, also mußte er sich alles in Präzision einprägen, um niemanden wirklich zu verletzen. So soll es beim Filmdreh eine Art Trommelschläge gegeben haben, die ertönten, damit jeder Handgriff auf den Punkt durchgeführt wurde. Eben eine richtige Choreographie, die dem Aufwand einer Tanzeinlage in nichts nachsteht. Auch das „Ensemble“ der Bösewichte scheint über lange Jahre recht unverändert. Kein Wunder, wusste doch jeder, welcher Handgriff wo sitzen muß, damit die Darbietung effektvoll wird (und schmerzfrei bleibt).

Auch die Filmmusik, die mehrheitlich von der Band Oliver Onions (Guido und Maurizio De Angelis) geschrieben und gespielt wurde, ist optimal auf die Filme abgestimmt. Das Lied Flying through the Air sei hier als Beispiel genannt.

Regelrecht anrührend ist zudem der Solofilm Renegade von Mario Girotti mit seinem Adoptivsohn, Künstlername Ross Hill. Beide treffen sich als vagabundierende Raubeine, lernen sich kennen und schätzen und verbünden sich. Mehr als Gefährten, aber eben auch wie Vater und Sohn. Dazu Filmmusik von Lynyrd Skynyrd (vor allem das Lied Simple Man umschreibt schön die tiefe Demut dieses Filmes vor dem Leben: Einfache Kadenzen untermalen die mahnenden Worte einer Mutter an ihren kleinen Sohn, daß er ein einfacher (d. h. demütiger) Mann werden soll. Sie will, daß er glücklich ist. Und er solle nicht vergessen, daß „da oben“ jemand ist. Tragisch ist, daß die Gebrüder van Zant von Lynyrd Skynyrd ebenso unvermittelt starben wie der Sohn von Girotti.

Mach‘ Platz, ich bin der Landvogt!

Der Tiefgang ist bei Spencer/Hill-Filmen allgegenwärtig, wird aber durch Klamauk überdeckt. Humor kann jedoch ein Vehikel sein, um Abstand zum Geschehen zu bekommen. Und davon strotzen die Filme geradezu. Besonders in der deutschen Fassung. Das so genannte „Schnodderdeutsch“ wurde von Rainer Brandt und war zunächst ein Experiment, wie Brandt in einem Interview berichtet. Ein weiteres taten die Synchronsprecher hinzu, die der ausnehmend internationalen Filmbesetzung eine stimmige Vertonung in deutscher Sprache einhauchten.

Überhaupt war die Sichtweise der Filme oft durch und durch europäisch, auch wenn die Mehrzahl der Filme in Amerika spielte. Die Verbundenheit von Girotti mit Deutschland sowie die Nähe zum christlichen Glauben macht die Filme zu einem Aushängeschild abendländischer Kultur, das vor politischer Unkorrektheit nur so strotzt, und das nicht einmal Zeit-Genossen von heute sich zu kritisieren getrauen.

Und Moral von der Geschicht können gleich zwei Sachverhalte sein: Das Böse kann wirklich einfach nur … böse sein. Aber es ist besiegbar. Das Gute hat – wie im christlichen Glauben – immer das letzte Wort. Und zweitens: Es bedarf keiner zerstörerischen Gewalt, um es zu besiegen. Auch wenn Girotti und Pedersoli stets unbesiegbar wirken, brachten sie sich für ihre Werke selbst in Gefahr und hielten den Kopf hin. Und sie ertrugen die Rückschläge ihres Lebens mit Demut.

Dem Bösen begegnen sie stets mit List, Humor und starkem Selbstbewußtsein. Vor allem aber sind diese Filme voller Anmut, Demut und darin leuchtender Ästhetik. Auch eine Art von Spiritualität, und sei es die immer wiederkehrenden Freßgelage, können ein Lehrstück für das eigene Leben sein.

Es ist nicht das Übertreten von Manieren und Gepflogenheiten, sondern die enorme Tüchtigkeit beider Protagonisten, ihre tiefgehende Beziehung zueinander, ihr mindestens ebenso tiefer christlicher Glaube, die immer wieder sichtbar bleiben wie eine unausgesprochene Wurzel ihres Handels, die ihnen die Souveränität verleiht, Clichés und Gepflogenheiten komplett über den Haufen zu werfen. Es bleibt stets Konsens, daß dieses gespielt ist. Ihre wirkliche Überzeugung steht wie ein Monolith unübersehbar dahinter.

Dieses ist einzigartig und einmalig zugleich. Und so tröstete ein Carlo Pedersoli seinen Freund Mario Girotti, als sein Adoptivsohn kurz nach den Dreharbeiten zum Film Renegade bei einem Autounfall ums Leben kam. Und Mario Girotti hält seinem langjährigen Lebensgefährten Carlo Pedersoli eine herzergreifende Abschiedsrede, als dieser 2016 mit nunmehr weit über 80 Jahren stirbt. Er tröstet damit mehr als einen Menschen und erweist seinem Gefährten seine letzte Ehre.

Einer stützt den anderen auf dem Lebensweg. Das Lebenswerk dieser beiden Lebensgefährten ist gelebte Ästhetik und praktizierte Spiritualität zugleich. Oder einfacher gesagt: Die ausbalancierte Verbindung von Anmut und Demut, so unvollkommen wie menschlich, so gleichsam wunderbar und lehrreich für andere.

Etwas, das über das Lebenswerk von Girotti und Pedersoli hinausweist, ist eine digitale Hommage an ihr Lebenswerk, ein Computerspiel, das, garniert mit der echten Filmmusik, die beiden Protagonisten noch einmal so richtig zuhauen läßt. Dem Eindruck des Schreibers nach zu urteilen, ist dieser – überaus gewagte – Versuch durchaus gelungen. Zumindest aber ist erkennbar, wie nachhaltig die Ästhetik unserer beiden Lieblingsitaliener  beeindrucken muss.

 

 

 

Sven Stemmer

Arnold Welsch

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