Ein Blick zurück … ach, naja
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Nachdem ich zwei Jahre … aus Gründen … dem alljährlichen Vorweihnachtstreffen der Veteranen meiner Alma Mater [Leopoldinenis] ferngeblieben war, wollte ich in diesem Jahr – nachdem auch Menschen, die mit dem Nürnberger Codex liebäugeln, wieder annähernd Bürgerstatus genießen – einmal schauen, was sich so getan hatte.
In gewohnt biergeschwängerter Atmosphäre und unter Klängen rebellischer E-Gitarren, die weitgehend einen 35 Jahre alten Soundtrack reproduzierten, wurde – wie kaum anders zu erwarten – über zahlreiche Belanglosigkeiten parliert.
Das nun überrascht wenig, dienen derartige Zusammenkünfte doch der nostalgisch beschaulichen Selbstvergewisserung.
Indes – wie in Zeiten zunehmender Gewalt und unter der Herrschaft der Unfähigsten kaum anders zu erwarten, gab es auch einige politische Beiträge zu vernehmen, die mich im Grunde nicht weiter überraschten, obwohl sie es vielleicht hätten tun sollen.
Zum Jahresende will ich mich doch einmal kurz fragen, wie man bei gleicher Wahrnehmung der Gegenwart zu so unterschiedlichen Schlüssen kommen kann.
Es scheint mir eine gewisse Inkonsequenz in der Bewertung unserer Gegenwart verbreitet. Wenn ein Generalsekretär einer mittelgroßen Partei in seiner vollendeten Inkompetenz wohl erkannt, ihm aber zumindest Respekt gezollt wird, weil er den Mund besonders voll nimmt, wenn scheidende Mitglieder einer durchaus totalitären und kriminellen Parteiformation als ehrlos und falsch geschmäht werden, weil sie die ehemals eigene Junta ausnutzen und verraten oder Unterhaltungs … öhm … künstler gefeiert werden, deren hervorstechendste Eigenschaften sind, Gewalt zu propagieren, keinerlei Schamempfinden zu besitzen und konsequent jede Reifung zu erwachsenen Menschen zu verweigern … wenn gleichzeitig aber der Abstieg der … nun … sozialen Struktur BRD mit einer gewissen Bitterkeit zur Kenntnis genommen wird, scheint mir doch ein erhebliches Beharrungsvermögen des Verweilens in der kognitiven Dissonanz vorzuliegen. Man könnte mit Tetzlaf sagen, der Sozi sei ja nicht dumm, er habe nur Pech beim Denken.
Um mir in Erinnerung zu rufen, was dieses Jahr so alles vorgegangen war, sah ich den Jahresrückblick eines bekannten und vielfach als reaktionär oder rechts geschmähten Satirikers. Es waren einige ganz lustige Bemerkungen dabei, aber die ganze Nummer durchzog penetrant ein Austeilen nach vermeintlich oder tatsächlich rechts, das ein wenig zu deutlich ein Betteln um Streicheleinheiten derer erkennen lies, die ihn selber jahrelang geschmäht hatten. Ein Mensch mit Abitur – gewiss – bei dem ich indes eine Fähigkeit zur Extrapolation aus den eigenen Erfahrungen erhofft hätte … will sagen den Gedanken: „Wenn ich zu unrecht geschmäht werde, geht es anderen vielleicht ähnlich.“ Ich muß bekunden, daß mich der allgegenwärtige und stets wie der Knüppel aus dem Sack präsente Nazivorwurf allmählich wirklich anwidert. Die unfassbaren Gräueltaten der totalitären Verbrecher – das unfassbare Leid von Millionen Opfern zu profanisieren, verharmlosen und missbrauchen, indem man es bewirtschaftet, um gegen Andersdenkende auszuteilen oder – wie im vorliegenden Fall – das ein oder andere schale Witzchen zu reißen, mit dem man sich Liebkind machen will, ist besonders übel und schändlich.
Ja und der Blick zurück in dieses Jahr … schön ist er nicht. Die Stichworte Energie, Krieg, Deutsche Bahn, Graichen, Wire-Card, Sondervermögen, Lützerath braucht man nur zu erwähnen, um ein müdes Abwinken zu ernten. Slapstickeinlagen wie der Schweinelöwe, die Flugbereitschaft, jede beliebige Wortmeldung der Außenministerin oder das Vorwort, das Robert Habeck zu 1984 verfasste – mutmaßlich ist er sich der Ironie nicht bewusst – sorgten für ein paar wenige nervös-befreiende Lacher. Einzig Christine Lambrecht hat gute Arbeit geleistet, indem sie zurückgetreten ist. Leider hat sich niemand ein Vorbild daran genommen. Doch kann so ein Restjahr kaum kurz genug sein, als dass man nicht noch eine drauf setzen könnte. So also der Wirtschafts … nun … minister, der gerne immer mal wieder Vorworte verfasst.
Wie dem auch sei. Ein interessanter Hinweis des oben erwähnten Afterkomikers bleibt zu zitieren. Bezüglich der Finanzen dieses Landes könne man über folgende Frage nachdenken: Wenn fünf Leute in einem Raum sind und zehn gehen hinaus, wie viele müssen wieder hereinkommen, damit keiner mehr drin ist?
Das wird alles noch äußerst interessant.