
Durch die Hintertür nach Schlesien, Teil 1


Das Elbetal in Tschechien
Meine Reise beginnt wie die meisten Reisen im hohen Norden. Ich bin fest entschlossen, meinem Stammfluss, der Elbe, treu zu bleiben. Nicht ganz so klangvoll wie der Rhein oder Donau ist der Name „meiner“ Flüsse, dennoch ist die Reise mit einem Zwischenstopp im so genannten „Elbflorenz“, Dresden, verbunden, bevor sich mein EuroCity durch das Elbetal nach Böhmen schlängelt. Etwas verwunschener als die Rheinromantik, dafür umso ergreifender die herbe, aber irgendwie dennoch liebliche, oft nebelverhangene Kulisse, die sich mir vom Zugfenster aus bietet.

Die Prager Burg hoch über der Moldau.
Das Reiseziel ist zunächst Prag. Die alte Kaiserstadt thront an den Ufern der Moldau, einem Nebenfluss der Elbe.
In Praha hlavní nádraží (wer es nicht korrekt aussprechen kann, muss mir ein tschechisches Bier ausgeben! – auf Deutsch: Prag Hbf) angekommen, schmeichelt sich mir als erstes der Bahnhofsgong ins Ohr. Ich habe einige Versuche und Zufallsbegegnungen mit Tschechen gebraucht, um herauszukriegen, was das für eine Melodie ist. Es ist tatsächlich der Anfang von Bedřich Smetanas Vyšehrad aus seinem Zyklus Má vlast (zu Deutsch: Mein Vaterland.) – bekannter ist das Stück „Die Moldau“ (Vltava). Die Böhmen sind voller künstlerischer Finesse, sodass die meisten großen Bahnhöfe ihren eigenen Bahnhofsgong aus dem reichen Schatz der böhmischen Musik abspielen. Eine Gruppe „Pufferküsser“ hat dies auf einer Internetseite gesammelt und kredenzt es den verzückten Hörern.

Die alte Empfangshalle des Hauptbahnhofes
In der Tat sind die alte tschechoslowakischen Produktionen wie Pan Tau, „Drei Nüsse für Aschenbrödel“ oder der kleine Maulwurf (krteček), bekannt aus der Sendung mit der Maus, bei den Zuschauern seit Generationen beliebt.

Speisen auf einem der vielen Essensstände zur Weihnachtszeit.
Der erste Gang führt mich ins angemietete Zimmer. Die kurzen Wege in Prag ermöglichen die Fortbewegung per pedes. Ausdrücklich nicht empfehlenswert ist die Fortbewegung per Fahrrad. Die schönen alten Straßen und Häuser zahlen eben den Preis der leidlich geteerten Straßen und Radwege. Soll aber nicht weiter stören, denn dem geübten Flaneur wird es mehr als goutieren, dass jede Hausecke neuen Augenzauber bietet. Die zweite Maßnahme ist die gastronomische Restauration des Magens. Hier empfiehlt sich eine kleine Kneipe etwas abseits der Touristenfallen. Faustregel: Je mehr Einheimische, desto günstiger, vor allem aber um so urwüchsiger und auch besser das Essen.
Die böhmische Küche ist angereichert mit österreichisch-bayerischen Leckereien wie zum Beispiel Knödel oder auch Kaiserschmarren. Alternativ und wirklich Tschechisch sind Kartoffelpuffer, gewürzt mit Majoran.

Tschechische Kartoffelpuffer mit Majoran
In der jüdischen Welt nennen sie sich auch Latkes; koschere Spezialitäten der jüdischen Welt haben durchaus in Städten wie Prag ihren Ursprung. Und dazu gibt es wahlweise etwas Süßes oder Herzhaftes. Das Nationalgericht ist Svíčková, Rinderlendenbraten auf Rahm. Die Klöße werden in der Regel gescheibt serviert.

Svíčková
Zugegeben: Ein Vegetarier kommt in Böhmen nicht weit. Aber das macht nix, denn es gibt genug hippe und hochpreisige Kaschemmen, wo der moderne Weltenbummler seinen Soja Latte mit Gemüseschnitzelattrappe finden wird – die Vermassung dieser Form der Nahrungsaufnahme und ihre global verstreuten Bezugsquellen steht einer eingehenden Betrachtung an dieser Stelle entgegen: Fleisch ist mein Gemüse, die lokale Kultur ist nachhaltig gewachsen, und dazu wähle ich ein dunkles böhmisches Bier zur Stärkung. Prost! Übrigens ist das Rauchen in tschechischen Restaurants durchaus üblich. Diesen Wermutstropfen muss zu schlucken bereit sein, wer sein kulturelles Immersionserlebnis sucht. Mein Verdauungsspaziergang zieht mich an die Moldau. Auf dem Altstadtring (eigentlich ein Marktplatz) ist viel los, hier sind die Touristen in Scharen unterwegs.

Touristenmagnet in Prag: Der Altstadtring
Für mehr Vielfalt: Hoch hinaus in Prag
Schön ist es in der Schummerstunde dennoch, den Königsweg zur Prager Burg (Hradčany bzw. Hradschin) hinauf zu flanieren: Der Weg ist mit Gaslaternen erleuchtet und führt direkt über die Karlsbrücke hinüber nach Malá Strána, die Kleinseite. Wahlweise kann der Trotteur hoch zur Burg gehen oder sich gen Süden verschlagen und sich zur Standseilbahn in Újezd auf den Laurentiiberg (Petřín) begeben. Dort steht auch eine Art Mini-Eiffelturm, der zu einer schönen Aussicht einlädt.

Die astronomische Uhr am Prager Rathaus
Wem die Prager Burg zu touristisch ist, wird auf der gegenüberliegenden Moldauseite in den Burgruinen von Vyšehrad seinen Frieden unter den Einheimischen finden. Wer Momente der deutsch-deutschen Geschichte würdigen möchte, kann an der deutschen Botschaft vorbeischauen und den Balkon erspähen, von dem Hans-Dietrich Genscher 1989 den DDR-Ausreisenden freies Geleit in den Westen verkündete.
Der Blick auf die vielen Türmchen und Dächer dieser traumhaft schönen Stadt, und das am besten abseits der Touristenströme, macht Träume wahr. Wem die Standseilbahn

Die Standseilbahn von Újezd auf den Laurentiiberg

Das jüdische Viertel in Prag
Ein besonderer Ort ist das jüdische Viertel. Hier gibt es den jüdischen Friedhof, eine Synagoge und zudem die Geschichte um Rabbi Löws Golem. Franz Kafka lässt grüßen, aber auch Rilke und andere gehören zum Kreise der deutschprachigen Literaten in Prag. Zumeist waren sie Juden, und sie sprachen Prager Deutsch, das Pate stand für das moderne Hochdeutsch, das Martin Luther „unters Volk“ brachte. Einen guten Eindruck vermittelt das Deutsche Literaturhaus, wo sogar Sprechproben (mit merklich österreichischem Einschlag!) zu hören sind. Was mich erstaunte und gleichzeitig belustigte, war der Tonfall eines ausgewiesenermaßen jüdischen Autoren, der in einem verblüffend ähnlichen Tonfall wie ein bekannter österreichischer Politiker sprach. Hier wird ein Stück deutschsprachige Kultur sichtbar, das durch die Perturbationen des 20. Jahrhunderts in Vergessenheit geraten ist. (Für hemdsärmelige Gemüter sei darauf verwiesen, dass das Wort „Hajzl“ (Häusl), welches im österreichischem Deutsch als Gebäude mit Herzchen in der Tür geläufig ist, ähnlich klingend auf Tschechisch als Synonym für einen einfältigen Menschen dient.
Es bleibt zu sagen, dass die Tschechoslowakei noch eine Demokratie war, während sich im Deutschen Reich die Anhänger einer totalitären Bewegung bereits in Allmachtsphantasien suhlten und Hannah Arendt reichlich Stoff für Bücher lieferten. Und Tschechen sehen sich als Mittel-, nicht als Osteuropäer. Darauf legen sie großen Wert. Mit Recht, wie ich finde, beachtet man die Verbindung in alle Himmelsrichtungen, die eine Weltstadt wie Prag hat. Und das heimliche Prag wird sichtbar, wenn man lernt, den Massentourismus zu umschiffen. Eine gute Hilfestellung bieten die Honest Guides.

Die Hauptpost von Prag
Auf dem Weg zurück in die Außenwelt lohnt sich ein Abstecher auf den Wenzelsplatz (Václavské náměstí) und darauf folgend ein Blick in die Prager Hauptpost. Dieses Gebäude belohnt mit wunderschönen Fresken und einladendem Interieur.